MDR1 Defekt

  • Bei den Hunderassen Collie, Australian Shepherd, Shetland Sheepdog, Longhaired Whippet, Silken Windhound, MacNab, English Shepherd, Weißer Schäferhund, Bobtail, Border Collie und Deutscher Schäferhund, ist ein Erbdefekt im sog. MDR1-Gen weit verbreitet.
    Das MDR1-Gen wird rezessiv vererbt (d.h. zwei Träger müssen verpaart werden, damit der Defekt vollständig auftritt).
    Bei den Hunderassen Collie, Australian Shepherd, Shetland Sheepdog, Longhaired Whippet, Silken Windhound, MacNab, English Shepherd, Weißer Schäferhund, Bobtail, Border Collie und Deutscher Schäferhund, ist ein Erbdefekt im sog. MDR1-Gen weit verbreitet.


    Dieser führt zu einem vermehr-ten Übertritt von Arzneistoffen in das Zentrale Nervensystem und kann bei der Anwendung von Arzneistoffen wie Ivermectin, Doramectin, Moxi-dectin oder Loperamid gravierende Vergiftungen auslösen. In zahlreichen Fällen kam es zum Tod der betroffenen Hunde. Bei Vorliegen eines MDR1-Defektes steht die sichere Anwendung einer Viel-zahl weiterer Arzneistoffe in Frage, so dass eine vorbeugende Diagnose anzuraten ist. Hierfür steht ein patentierter molekulargenetischer Test zur Verfügung, welcher von der TransMIT GmbH in Gießen angeboten wird.


    MDR1: Ein multidrug TransporterBei „MDR1“ handelt es sich um einen Membrantrans-porter für Arzneistoffe, welcher biochemisch zur Fami-lie der ATP-binding cassette transporter (ABC-Trans-porter) gehört. Dieser Arzneistofftransporter wird von dem multidrug resistance (MDR1) Gen codiert. Syno-nyme Bezeichnungen sind P-Glycoprotein oder ABCB1. MDR1 transportiert eine Vielzahl verschiedener Arz-neistoffe und darüber hinaus schädliche Naturstoffe, sogenannte Phytoalexine. Es wird heute angenommen, dass die entwicklungsgeschichtliche Bedeutung dieses Transportsystems in dem Schutz eines Organismus vor schädlichen, häufig mit der Nahrung aufgenommenen Giftstoffen liegt. Bemerkenswert ist in diesem Zusam-menhang, dass MDR1 von Bakterien bis hin zu höheren Säugetieren hoch konserviert ist. Entsprechend scheint dieser Transporter im Laufe der Evolution einen klaren Überlebensvorteil gebracht zu haben.Derzeit sind mehr als 100 verschiedene Arzneistoffe bekannt, welche von MDR1 transportiert werden. Die-se gehören zu den Arzneistoffgruppen der Zytostatika, Antihypertensiva, Antiarrhythmika, Antibiotika, Anti-mykotika, Antiparasitika, Immunsuppressiva, Opioide, Antiemetika, Antazida, Antiepileptika u.v.m. Daher wird bei MDR1 auch von einem „multidrug“ Transporter ge-sprochen. Obwohl der Name einen klaren Zusammen-hang mit Arzneistoffen impliziert, transportiert MDR1 auch eine Vielzahl endogener Stoffe, wie z. B. Steroidhor-mone.


    Bedeutung von MDR1 für den ArzneistofftransportWie bei allen Säugetieren, so wird auch MDR1 des Hun-des in verschiedenen Geweben gebildet und erfüllt hier vielfältige Aufgaben: An der sogenannten Blut-Hirn-Schranke vermindert MDR1 den Übergang von Arz-neistoffen aus dem Blut in das Zentrale Nervensystem; im Darm limitiert MDR1 den Eintritt von Arzneistoffen in den Organismus; in Leber und Niere ist MDR1 an der aktiven Ausscheidung von Arzneistoffen über Galle und Urin beteiligt; darüber hinaus wird MDR1 auch in den Vorläuferzellen des Blutbildenden Systems gebildet und schützt diese vor dem Eindringen von Arznei- und Fremdstoffen. Bei zahlreichen Hunderassen ist ein Gendefekt im MDR1-Gen weit verbreitet, welcher als nt230(del4) MDR1-Mutation bezeichnet wird. Dieser Gendefekt kann in homozygoter (MDR1-/-) oder heterozygoter (MDR1+/-) Ausprägung vorliegen; MDR1 intakte Hunde werden entsprechend als MDR1+/+ beschrieben. Bei MDR1-/-Hunden kommt es zu einem vollständigen Funktionsver-lust des Transporters in allen oben genannten Organen, was zu gravierenden Veränderungen in der Aufnahme, Ausscheidung und Gewebeverteilung von Arzneistoffen führt: Die Aufnahme von Arzneistoffen aus dem Darm ist erhöht, die Ausscheidung über Leber und Niere da-gegen eingeschränkt. Darüber hinaus fehlt die wichtige Schutzfunktion von MDR1 in der Blut-Hirn-Schranke und den Vorläuferzellen des Blutbildenden Systems.





    Daher muss bei MDR1-/- Hunden unter der Thera-pie mit bestimmten Arzneistoffen mit einem vermehr-ten Auftreten toxischer Wirkungen auf Gehirn, Leber, Niere und das Blutbildende System gerechnet werden. Dies trifft jedoch nicht zwangsläufig auf alle Arzneistof-fe zu, welche durch MDR1 transportiert werden (sog. MDR1-Arzneistoffe). Vielmehr bedarf es für jeden Arz-neistoff einer gesonderten Abwägung, welche nur von wissenschaftlich und klinisch erfahrenen Fachleuten vorgenommen werden kann. Das macht den Umgang mit dem MDR1-Gendefekt in der tierärztlichen Praxis häufig schwierig. Erschwerend kommt hinzu, dass kli-nisch kontrollierte Studien über die therapeutische Si-cherheit von MDR1-Arzneistoffen bei MDR1-/- Hunden nur in sehr begrenztem Umfang vorliegen. Eine Beach-tung des MDR1-Gendefektes in der Hundezucht sowie eine Vermeidung der Zucht von MDR1-/- Hunden wer-den daher von führenden Wissenschaftlern seit vielen Jahren gefordert.


    Betroffene RassenIn den ersten Jahren der Forschung zu dem MDR1-Gen-defekt des Hundes war nur der Collie als Träger dieses Gendefektes bekannt. Mittlerweile wurden weltweit je-doch mehr als 20000 Hunde auf diesen Gendefekt un-tersucht. Dabei zeigte sich, dass neben dem Collie noch viele weitere Hunderassen und auch Mischlingshunde betroffen sind (siehe Tabelle 1). Für den behandelnden Tierarzt ist daher praktisch nicht zu erkennen, ob ein individueller Hund von dem MDR1-Defekt betroffen ist oder nicht. Daher wird empfohlen vor dem Einsatz rele-vanter MDR1-Arzneistoffe (s.u.), den MDR1-Genstatus des Hundes zu bestimmen. Dies erfolgt durch ein mo-lekulargenetisches Diagnoseverfahren ausgehend von einer Blutprobe des Hundes; eine äußerliche Erkennbar-keit dieses Gendefektes gibt es nicht.


    Diagnostik und MDR1-BefundDer genetische Test auf Vorliegen einer nt230(del4) MDR1-Mutation wird durch die TransMIT-Gesellschaft für Technologietransfer mbH, Projektbereich für Phar-makogenetische Diagnostik PGvet am Institut für Phar-makologie und Toxikologie der Universität Gießen un-ter Leitung von Prof. Dr. Geyer durchgeführt. Der Test bietet Tierärzten, Züchtern und Hundebesitzern eine sichere und einfache Gelegenheit, Arzneistoff sensitive MDR1+/- und MDR1-/- Hunde zu identifizieren. Der Test kann bei allen Hunderassen ohne Altersbeschränkung, nicht jedoch bei anderen Tierspezies durchgeführt wer-den. Neben der MDR1-Diagnostik bietet PGvet Expertenberatung und schnelle Hilfe bei Vergiftungsfällen auf aktuellem Stand der Wissenschaft und Medizin. Darü-ber hinaus forscht die Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Geyer für eine sichere Arzneitherapie von MDR1-/- Hunden und entwickelt Antidots für die gezielte Therapie von Vergiftungsfällen.Für die MDR1-Diagnostik wird lediglich 1 ml ED-TA-Vollblut mit einem entsprechenden Auftragsformular (http://www.transmit.de/mdr1-defekt) benötigt. Der Befund der MDR1-Diagnosik ist dann wie folgt zu interpretieren:








    MDR1-/- Hunde: Multiple Arzneistoffüberempfindlich-keit und eingeschränkte StresstoleranzIn der tierärztlichen Praxis ist besondere Vorsicht ge-boten, wenn für einen Hund der Genotyp MDR1-/- be-stimmt wurde. In diesem Fall fehlt ein funktionsfähiger MDR1-Transporter in allen Geweben und die Behandlung mit bestimmten Medikamenten kann erhebliche Probleme bereiten (s.u.). Unabhängig von der multiplen Arzneistoffüber-empfindlichkeit wissen wir heute, dass es bei MDR1-/- Hunden zu einer Fehlsteuerung endokriner Regelkreise kommt. Dies äußert sich in erniedrigten Cortisolspie-geln und führt in einem Stress- oder Krankheitszustand unter Umständen zu einer eingeschränkten Stressbe-wältigung bzw. Regenerationsfähigkeit. Des Weiteren mehren sich die Hinweise, dass MDR1-/- Hunde eine erhöhte Anfälligkeit für die Entwicklung chronisch ent-zündlicher Darmerkrankungen aufweisen. Klinische Studien zur Untersuchung dieser Problembereiche wer-den in den nächsten Jahren erwartet.


    Kritische Arzneistoffe bei MDR1-/- Hunden1. Makrozyklische LaktoneArzneistoffe aus dieser Gruppe (Ivermectin, Doramec-tin, Selamectin, Moxidectin, Milbemycinoxim) werden beim Hund zur Therapie parasitärer Erkrankungen ein-gesetzt. Zu einer Aufnahme kann es aber auch im Rah-men der Entwurmung von Pferden mit hoch dosierten Präparaten kommen, welche bei Unachtsamkeit von Hunden aufgenommen werden. In beiden Fällen kommt es bei MDR1-/- Hunden zu gravierenden und zum Teil lebensbedrohlichen Vergiftungen. Diese äußern sich in-itial als Mydriasis, Visusverlust, Ataxie, Hypersalivati-on, Desorientiertheit und Krämpfen und gehen dann in einen mehrere Tage andauernden komatösen Zustand über, welcher einer intensivmedizinischen Behandlung bedarf. Besonders kritisch ist dabei der lang anhaltende ZNS-depressive Zustand sowie eine Beeinträchtigung der Magen-Darm-Motorik bei zeitweise aussetzendem Schluckreflex. Dies führt häufig zum Auftreten von Se-kundärkomplikationen.



    1.1 Vergiftungen durch therapeutische Applikation Makrozyklische Laktone dürfen, sofern nicht expli-zit für den Hund zugelassen, nicht bei MDR-/- Hunden angewendet werden, da es zu lebensbedrohlichen Ver-giftungen kommen kann. Ein MDR1-Gentest ist daher zwingend vor dem hoch-dosierten Einsatz von Makrozy-klischen Laktonen, z. B. zur Therapie der generalisierten Demodikose. Auch heterozygote MDR1+/- Hunde zeigen hierbei vermehrt Nebenwirkungen wie Mydriasis und Ataxie, welche aber beim Absetzen der Präparate auch ohne Behandlung innerhalb eines Tages reversibel sind.


    1.2 Unbewusste Aufnahme im Rahmen der Entwurmung von PferdenMDR1-/- Hunde müssen der Entwurmung von Pferden mit Ivermectin- oder Moxidectin-haltigen Präparaten dringend fern gehalten werden, da es selbst bei Aufnah-me sehr geringer Mengen dieser hoch dosierten Präpara-te zu gravierenden Vergiftungen von MDR1-/- und auch MDR1+/- Hunden kommen kann. Insbesondere neuere Präparate in Tablettenform wie Equimax Tabs®, Era-quell Tabs®, oder Vectin® können für Hunde mit MDR1-Defekt extrem gefährlich sein: Bereits die Aufnahme einer einzigen Tablette mit ~20 mg Ivermectin kann bei MDR1+/- Hunden leichte Vergiftungssymptome hervor-rufen und ist für MDR1-/- Hunde sogar tödlich!



    1.3 Sichere Anwendung von Makrozyklischen LaktonenNur für sehr wenige Arzneistoffe wurde bisher die Sicher- heit der Therapie auch bei MDR1-/- Hunden untersucht und bestätigt. Dazu zählen insbesondere drei für den Hund zugelassene Präparate aus der Gruppe der Makrozykli-schen Laktone: das Moxidectin-Präparat Advocate®, das Selamectin-Präparat Stronghold® und die Milbemycino-xim-Präparate Milbemax® und Program Plus®. Allerdings müssen alle genannten Präparate auf Grund der geringe-ren therapeutischen Breite bei MDR1-/- Hunden streng nach Herstellerangaben verabreicht werden. Insbesonde-re sind eine Überdosierung dieser Präparate sowie eine versehentliche orale Verabreichung der spot-on Präparate Advocate® und Stronghold® zu vermeiden.


    2. Loperamid (Imodium®)Loperamid wird häufig auch ohne Konsultation eines Tierarztes zur Behandlung von Durchfallerkrankungen des Hundes eingesetzt. Bei MDR1-/- Hunden passiert das sonst nur peripher wirksame Loperamid die Blut-Hirn-Schranke und löst so ein schweres und komplexes Vergiftungsgeschehen aus, welches nur schwer zu thera-pieren ist. Loperamid darf daher bei MDR1-/- Hunden nicht angewendet werden.


    3. ZytostatikaZytostatika wie Vincristin oder Doxorubicin, welche zum Beispiel im Rahmen der Lymphomtherapie beim Hund eingesetzt werden, sind hoch toxisch für MDR1-/-Hunde. Dabei sind vor allem das Blutbildende System und der Gastrointestinaltrakt betroffen. Ein Test auf MDR1-Defekt wird daher vor der klinischen Anwen-dung dringend empfohlen. Unter Therapie bedürfen sowohl MDR1-/-, als auch MDR1+/- Hunde einer beson-deren Überwachung, um gravierende Nebenwirkungen rechtzeitig zu erkennen und die Therapie entsprechend anzupassen bzw. abzusetzen.


    4. Emodepsid (Profender®)Der in dem Präparat Profender® enthaltene Wirk-stoff Emodepsid gehört zu den MDR1-Arzneistoffen.

    Entsprechend ist bei MDR1-/- Hunden die therapeu-tische Breite dieser Substanz reduziert. So wurde bei MDR1-/- Hunden schon nach Gabe der doppelten empfohlenen Dosis kurzzeitiges, leichtes Zittern und Ataxie beobachtet. Die Symptome klangen ohne Be-handlung vollständig ab; ein spezifisches Gegenmit-tel ist bisher nicht bekannt. Darüber hinaus wird von Seiten des Herstellers darauf hingewiesen, dass die Anwendung wegen der Formulierung als Retardta-blette nur bei nüchternen Tieren erfolgen darf und eine Fütterung vor oder nach der Tabletteneingabe die Verträglichkeit herabsetzt. Während sich be-reits gezeigt hat, dass es bei korrekter Anwendung und Dosierung von Profender® selbst bei MDR1-/-Hunden nicht zu einem vermehrten Auftreten von Nebenwirkungen kommt, kann es bei der Anwen-dung an nicht-nüchternen MDR1-/- Hunden bereits bei einer Standarddosis zu neurologischen Nebenwir-kungen und Erbrechen kommen. Bei der Anwendung von Profender® an MDR1-/- Hunden sind die Anwen-dungsvorschriften des Herstellers daher zwingend einzuhalten.


    5. OpioideNeben Loperamid wurde für zahlreiche weitere Opioide eine Interaktion mit dem MDR1-Transpor-ter nachgewiesen. In einem MDR1-defekten Maus-modell konnte sogar gezeigt werden, dass Morphin, Methadon und Fentanyl bei Fehlen von MDR1 viel stärker über die Blut-Hirn-Schranke permeieren und so eine stärkere analgetische Wirkung erzeugen als bei MDR1-intakten Mäusen. Entsprechendes muss auch für MDR1-/- Hunde angenommen wer-den, wobei klinisch insbesondere die atemdepres-sive Wirkung dieser Opioide im Rahmen von Nar-kosen als kritisch zu bewerten ist. Ein Einsatz der genannten Arzneistoffe bedarf bei MDR1-/- Hunden daher besonderer Sorgfalt und Überwachung.


    6. Weitere kritische ArzneistoffeFür zahlreiche weitere Arzneistoffe wurde eine In-teraktion mit dem MDR1-Transporter bestätigt. Diese Arzneistoffe sollten nur unter gründlicher Nutzen-Risiko-Abwägung und unter Beachtung der pharmakokinetischen Besonderheiten bei MDR1-/- Hunden angewendet werden. Durch das Fehlen eines funktionsfähigen MDR1-Transporters kann es leicht zu einer unbewussten Überdosierung der entsprechenden Arzneistoffe kommen und es muss mit einem vermehrten Auftreten von Neben-wirkungen gerechnet werden.




    Eine MDR1-Genotyp basierte Dosierung wäre bei MDR1-/- Hunden wünschenswert, ist für die meisten problematischen Arzneistoffe aber bisher noch nicht etabliert. Für die Arzneistoffe Acepro-mazin und Butorphanol kann aber auf Grundlage klinischer Erfahrung bereits eine Dosisreduktion um 30 50% empfohlen werden.


    MDR1-Vigilanzsystem Sollten Sie unerwünschte Arzneimittelwirkungen beobachten oder vermuten, so sollte stets eine Ne-benwirkungsmeldung über den Hersteller an die zuständige Behörde erfolgen, oder direkt über ein Online-Formular unter http://www.vet.uaw.de.Darüber hinaus können Sie zusätzlich folgende Adresse nutzen: Auf der Internetseite http://www.uni-giessen.de/mdr1-vigisys besteht die Möglichkeit, MDR1-spezifische unerwünschte Arzneimittelwir-kungen sowie Narkosezwischenfälle und Narkose-protokolle von Hunden mit MDR1-Gendefekt zu melden. Mithilfe dieser Daten soll in Zukunft eine bessere Aussage über die Sicherheit von Arznei-stoffen und Narkosen bei Hunden mit MDR1-Gen-defekt getroffen werden. Die Kenntnis des MDR1- Genotyps ist dabei unerlässlich.