Leinenpflicht/ Leinenzwang versus Tierschutz/ Tierwohl

  • Als ich klein war in den 70ern, hing der Hofhund an der Kette oder lief frei herum ohne Leine. Das war, wenn ich Vater und Opa glaube, in früheren Jahrzehnten nicht anders. Dass Hunde mal den Hof verließen und im Dorf stromerten, war auch nicht ungewöhnlich. Es gab ja kaum Autos und Eltern wie Kinder hatten keine Angst, weil sie mit Tieren aufwuchsen. Wirklich bissige Hunde wurden natürlich umgehend euthanasiert. Nur in Quarantänezeiten bei bestimmten Tierseuchen galten strenge Regeln und da wurden Hunde draußen in der Flur auch schnell mal abgeschossen.


    Ich erinnere mich auch nicht daran, dass man mit den Hunden spazieren oder wandern ging; das war vor 50 oder 60 Jahren einfach nicht der Zeitgeist. Der Hund hatte seine Funktion, bei uns meist als Rattler, und brauchte keine zusätzliche Beschäftigung nach Ansicht der Halter, die auch selbst viel zu viel zu tun hatten, als stundenlang mit dem Hund durch die Natur zu laufen. Es sei denn, man war wie mein Opa auch Jäger und führte einen Hund dementsprechend. Die gut ausgebildeten Jagdhunde brauchten aber auch selten eine Leine, denn sie hatten zu spuren, sonst gab es mächtigen Ärger; leider wurde auch hier mit jagduntauglichen Hunden oft genug kurzer Prozess gemacht. So war das eben damals.


    Seit ich selbst und eigenständig Schäferhunde halte, hat sich die gesamtgesellschaftliche Hundehalterproblematik natürlich stark verändert und damit ist auch das Problem Leinenpflicht/ Leinenzwang stark in den Vordergrund getreten. Fast immer wird es virulent bei der Begegnung mit Jägern, Jagdpächtern, Förstern; zu denen ich immer ein gutes Verhältnis aufzubauen versucht habe, weil man sich schließlich täglich in freier Natur begegnet. Leider scheint es hier tatsächlich eine ethnisch-kulturelle Identität oder kollektive Merkmale einer Gruppe zu geben, denn der hochherrschaftliche Tonfall, das herrenreiterische Gebaren, der Feudalherrengestus, die schnoddrige Arroganz ostelbischer Junkerschule; der schneidende Befehlston und die säbelrasselnde Unhöflichkeit lassen kaum einen Zweifel offen hinsichtlich einer viele Jahrhunderte alten Kaste gleichen Geblüts.


    Zusammenfassend lässt sich sicher sagen für das Gebiet des wiedervereinigten Deutschland, dass in den letzten Jahrzehnten das Laufen ohne Leine immer weiter zurückgedrängt wurde durch zahlreiche Gesetze und Verordnungen auf Bundes-, Landes- oder kommunaler Ebene. Das hat natürlich damit zu tun, dass bei uns mittlerweile fast 11 Millionen Hunde leben, also jeder fünfte deutsche Haushalt einen Hund hat. Vor allem in urbanen Ballungszentren braucht es da klare Regeln, um der Verantwortung als Hundehalter gerecht werden zu können, also andere hundelose Menschen nicht belästigt oder gefährdet werden und andere Hunde samt deren Haltern natürlich auch nicht. Aber ebenso natürlich muss man abwägen, inwieweit derartige Zwänge und Regeln dem Tierwohl und Tierschutz entgegenstehen.


    Für die Wälder hat jedes Bundesland wohl eine eigene Gesetzlichkeit: Bei uns in Thüringen herrscht im Wald prinzipiell Leinenpflicht, was ich persönlich als unangemessen empfinde in einem Land, das zu über einem Drittel von Wald bedeckt ist, eben das Grüne Herz Deutschlands. Ich verstehe die Waldhüter und natürlich muss ein Hund in Ruf- und Sichtweite jederzeit abrufbar sein und darf nicht jagen oder wildern; aber so per se und prinzipiell und immer auch außerhalb der Brut- und Setzzeiten halte ich das für völlig übertrieben. Es macht einfach keinen Spaß, den Hund immer an der Leine zu haben; wenn man durch den Forst marschiert und er nicht frei seiner Nase nachgehen kann.


    In den Städten und Gemeinden herrscht ohnehin mit Ausnahme spezieller Zeiten und eingeschränkter Örtlichkeiten immer Leinenzwang. Das verstehe ich natürlich, denn auch für den Hund ist das sicherer inmitten des Verkehrs oder sehr vieler Menschen und anderer Hunde. Prekär wird es aber dann, wenn wie hier in meiner jetzigen ostmittelthüringischen Heimatkleinstadt auch auf der Flur außerhalb der Ortschaften via Verordnung die Leinenpflicht gilt. Es gibt bei uns in Thüringen keine allgemeine Leinenpflicht außerhalb von Ortschaften, aber jede Kommunen kann begründet eine festlegen. Das hat zur Folge, dass man seinen Hund eigentlich überhaupt nicht mehr ableinen kann in der freien Natur, auf Feldwegen, Wiesen, Auen; und das verstößt meines Erachtens ganz klar gegen das Tierschutzgesetz, nach dem ein Hund je nach Rasse und Charakter mehrere Stunden Freilauf am Tag haben muss.


    Im Tierschutzgesetz heißt es zum Bewegungs- und Erkundungsverhalten: "Freilauf ist kein Luxus, sondern eine gesetzlich geforderte Komponente einer artgerechten Hundehaltung, Hunde müssen die Möglichkeit haben, frei zu laufen, um ihr arttypisches Bewegungs- und Erkundungsverhalten auszuleben." Dabei wäre die spezifische Eigenart der Rasse und des Hundes zu beachten. Ich würde mal sagen, dass lauffreudige Hunde wie Windspiele, nordische Hunde oder auch DSH natürlich mehr und andere Bewegung brauchen, als ein normaler Halter mitrennen könnte. Daher müssen diese irgendwo frei herumlaufen können, insofern sie in Ruf- und Sichtweite bleiben und auf Abruf reagieren. Mit einer Schleppleine kommt man da nicht weit.


    Der Deutsche Tierschutzbund schreibt: "In der Gesetzesbegründung wird spezifiziert, dass mindestens zweimal täglich und insgesamt mindestens eine Stunde Freilauf ermöglicht werden sollen. Die Rechtsprechung hat mehrfach bestätigt, dass dies eine Untergrenze darstellt." Freilauf bedeutet hier laut Text "ohne Leine". Natürlich auch hier in Sicht- und Rufweite und jederzeit abrufbar, das sollten die Kriterien sein.


    Das Problem sind wie stets die vielen schwarzen Schafe unter den Hundehaltern, die ihre unerzogenen Hunde ohne Leine herumlaufen und andere Leute und Hunde belästigen lassen oder sogar gefährden und verletzen. Dennoch dürfen nicht alle Hundehalter darunter leiden und deren Hunde schon gar nicht. Ich will ehrlich sein, in meiner alten Heimat, im Thüringischen Schiefergebirge an der Oberen Saale im Südosten Thüringens an der Grenze zu Oberfranken habe ich in freier Natur selten eine Leine gebraucht, ganz einfach, weil es im Landkreis keine Leinenpflicht gab und ich mit allen Waldleuten in gutem Benehmen stand, weil sie meine Hunde kannten und wussten, dass die nicht jagen und abrufbar sind. Hier, reichlich 100 Kilometer weiter nordwestlich, macht mir die Hundehaltung schon deutlich weniger Spaß, weil ich mich permanent eingeschränkt fühle durch diese Überregulierung und Gängelung.


    Für mich ist das Schönste an der Hundehaltung, wenn Gamba und ich entspannt bei Wind und Wetter durch das Gelände laufen, ohne dass ich permanent die Leine führen muss. Sollte das immer weniger möglich sein, muss man wirklich überlegen, ob man weiter Hunde hält oder wieder in eine andere Gegend zieht.

  • In der Gesetzesbegründung wird spezifiziert, dass mindestens zweimal täglich und insgesamt mindestens eine Stunde Freilauf ermöglicht werden sollen

    Als erstes stimme ich deinem sehr ausführlichen Bericht uneingeschränkt zu.


    Lediglich o.g. Zitat soll bedeuten, dass der Hund in der Zeit nicht im Zwinger ist und menschlichen Kontakt erhalten soll. Bei Einführung dieses Gesetzes gab es mal eine Diskussion, weil manche Leute schon Sorgen hatten, das Ordnungsamt steht mit der Stoppuhr an deiner Gartenpforte Oder der 15 jährige Seniorhund wird durch den Wald geschleift.

  • Hab bei Deinem Zitat auch kurz überlegt, ob ich dann quasi jeden Tag "tierschutzrelevant" handele.


    Mein Hund bekommt nicht oft Freilauf aus verschiedenen Gründen. Trotzdem denke (und hoffe ich), dass ich ihn gut und korrekt auslaste.


    Und ja - es gibt immer noch viele Menschen, bei denen der Hund 23 Stunden am Tag im Zwinger wohnt.